Die Suche nach dem tiefen Selbst
                  
                    Man wird nie wissen, welche Konsequenz unser Handeln,oder unser Nicht-Handeln in der Zukunft nach sich ziehen wird. 
                    (E. M. Forster)
                  Meine Frage ist: was bedeutet es, ein Selbst zu werden? Das 
                    ist mein Ausgangspunkt. Ich muss nicht an in die weite Welt 
                    reisen, um meine Frage zu erkunden. Vielmehr finde ich in 
                    meiner Umgebung und im Umfeld meiner Mitmenschen die Herausforderungen 
                    und die Prozesse, die ich verstehen möchte und von denen 
                    ich lernen kann. In diesem Sinne ist der Kreis meiner Mitmenschen 
                    kein gewöhnlicher oder unbedeutender Ort. Er ist die 
                    Stelle, an der individuelles Potenzial auf blühen oder 
                    verkümmern kann, wo wahre Gemeinschaft wachsen kann oder 
                    dahin schwindet. In diesem Sinne ist die Umgebung, in der 
                    ich lebe und das Netzwerk von Menschen, mit denen ich täglich 
                    in Verbindung komme, der wichtigste und potenziell fruchtbarste 
                    Ort für mich.
                  Das Projekt heißt: Die Suche nach dem tiefen Selbst 
                    (The Search for the Deep Self). Meine eigene Community, die 
                    Menschen in meiner näheren Umgebung, sind mein Ausgangspunkt. 
                    Jedoch alles, was in der Welt geschieht, hat damit begonnen 
                    wie jeder einzelne Mensch auf seine Situation eingeht und 
                    reagiert. Besonders diese Wechselbeziehung zwischen dem Persönlichen 
                    und der Gemeinschaft ist was ich erforschen und sichtbar machen 
                    möchte. Was damit gemeint ist, wird am besten anhand 
                    der Geschichte von Bill Wiseman deutlich.
                  Wiseman war ein amerikanischer Politiker, der die Todesspritze 
                    erfunden hat, die nun die am weitesten verbreitete Form der 
                    Hinrichtung ist in den USA. Die Gründe für seinen 
                    Einstieg in die Politik, eine Entscheidung, die ihn schließlich 
                    dazu brachte die Giftspritze zu erfinden, beschrieb er in 
                    folgender Weise: "Ich dachte, dass ich ein sehr kompetenter 
                    Gesetzgeber sein könnte. Und als weiteres gefiel mir 
                    die Idee, dass es mir eine Identität geben würde. 
                    Ich habe immer im Schatten meines Vaters gelebt, und es wäre 
                    eine Chance, meine Ideen, die ich über Ethik und Moralverhalten 
                    habe, umzusetzen." Mit diesem Vorsatz wurde Bill Wiseman 
                    ein erfolgreiches Mitglied der Oklahoma Legislative. Er genoss 
                    es in seinem Amt zum einen etwas für die Bevölkerung 
                    tun zu können und zum anderen das Gefühl zu haben 
                    jemand zu sein.
                  Während Wisemans Zeit im Amt, wurde die Frage der Todesstrafe 
                    debattiert. Damals konnte kein Politiker, der gegen die Todesstrafe 
                    war, hoffen, seinen Sitz zu behalten. Obwohl Wiseman nichts 
                    von der Todesstrafe hielt, stimmte er für sie. Darüber 
                    hinaus, um sein Gewissen zu beruhigen, erfand er, zusammen 
                    mit einem Freund, der, wie Wiseman keine medizinische Qualifikation 
                    oder Erfahrung hatte, die Zusammensetzung für die tödliche 
                    Injektion. Es war ihre Absicht die Exekutionen in ihrer Ausführung 
                    so schmerzlos wie möglich zu machen. Ironischer Weise 
                    bedeutete das „Entfernen von Gestank und Schmerz "der 
                    Hinrichtungen, dass weit mehr Menschen als bisher getötet 
                    wurden.
                  Immer wieder versuchten Menschen Bill Wiseman zu warnen, 
                    dass genau das die Folgen sein würden. Er sagte von sich 
                    selbst in dieser Zeit, „Ich muss zugeben, dass im Amt 
                    zu bleiben zu meiner obersten Priorität wurde. Ich war 
                    eine Persönlichkeit, hatte eine Mission, und jegliche 
                    Arten der Anerkennung. Alles was dies bedrohte ließ 
                    mich ein finsteres verborgenes Grauen spüren." Als 
                    ich in 2006 zum ersten Mal über Bill Wiseman las, waren 
                    bis dahin 800 Menschen mit der Giftspritze hingerichtet worden. 
                    Wiseman sagt, dass er sich für jeden einzelnen dieser 
                    Todesopfer mitverantwortlich fühlt. Er beschreibt, wie 
                    im Schatten seines Vaters zu lebte und wie er versuchte, dem 
                    dunklen Grauen zu entfliehen, seine Macht zu verlieren. Das 
                    Selbstwertgefühl eine Persönlichkeit zu sein war 
                    ihm wichtiger als seine Gewissensbisse und die warnenden Stimmen 
                    von Aktivisten und Freunden. Es war in der Tat so wichtig, 
                    dass seit dem viele Menschen gestorben sind und immer noch 
                    als Folge davon sterben werden. Bill Wiseman hat sich seitdem 
                    von dieser Position abgewendet und ist ein stark engagiertes 
                    Mitglied der Lobby, die für ein Verbot der Todesstrafe 
                    kämpft. Er verlor seinen Sitz in der Oklahoma Legislative 
                    gerade weil er diese Stellung vertrat.
                  
                    Zu Beginn wurde er durch die Angst vor der Dunkelheit, die 
                    er in seinem Inneren spürte, getrieben.
                    Es veranlasste ihn, gegen seine Prinzipien zu handeln und 
                    großen Schaden anzurichten. Es gab ihm das Gefühl 
                    eine Persönlichkeit zu sein, aber es war das Trugbild 
                    seines Selbst, ein Phantom Selbst. Dieses Selbst verleitete 
                    ihn dazu beides zu verraten, sich selbst als den, der er wirklich 
                    sein wollte und die Gesellschaft, in deren Dienst er sich 
                    befand.
                  Ich bin an dem Selbst als Trugbild interessiert, das er war, 
                    und das später zu einem tiefen Selbst wurde. Ein tiefes 
                    Selbst, das in der Lage war, seine verborgenen Ängste 
                    zu konfrontieren, auf Macht zu verzichten und aus seinen tieferen 
                    Werten heraus zu handeln. In einer Erklärung für 
                    seine Wandlung sagte er: „Ich bin gegen die Todesstrafe, 
                    wegen dem was sie uns antut, was sie aus uns macht, nicht 
                    was sie den Menschen antut, die sterben. Das ist es, worum 
                    es geht. Wie sie uns als Gesellschaft verändert und kennzeichnet, 
                    wenn wir eine gesellschaftliche Entscheidung treffen, ein 
                    Leben zu nehmen. All das Gerede, wie es inkompetent und unfair 
                    ist, das ist zwar sehr interessant, aber es ist nicht zutreffend. 
                    Die Sache ist die, wir dürfen es nicht tun, weil es unsere 
                    Seele zerfrisst."
                  Bill Wiseman starb bei einem Flugzeugabsturz im Jahr 2007.
                  Ich bin erschüttert von der Realität, welche Macht 
                    unsere inneren Schwächen erlangen können, wenn sie 
                    nicht herausgefordert und konfrontiert werden, und welchen 
                    Schaden sie uns selbst und anderen zufügen können. 
                    Aber zugleich fühle ich mich auch ermutigt, dass Menschen 
                    die Möglichkeit haben sich diesen Herausforderungen zu 
                    stellen und dadurch zu ihrem tieferen Selbst gelangen.
                  Das meine ich wenn ich sage, dass das Persönliche auch 
                    politisch ist. Es ist die Bereitschaft, sich an diesem Prozess 
                    zu beteiligen, von dem ich glaube, dass er im Leben eines 
                    Menschen immer wiederkehrt. Dieser Prozess, der niemals abgeschlossen 
                    werden kann, ist ein Kernpunkt des Lebens und ist meine Suche 
                    nach Sinn.