Leo Baeck war ein Rabbiner und ein gebürtiger Deutscher, der in Berlin
Philosophie studierte und gleichzeitig seine religiöse Bildung abschloss. Während des Ersten Weltkriegs diente
er als Feldprediger in der deutschen Armee. Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, arbeitete Leo Baeck als
respektiertes Oberhaupt in seiner Gemeinde daran, die Rechte des jüdischen Volkes zu verteidigen. Er wurde
schließlich, im Jahre 1942, nach Theresienstadt transportiert, wo er Kurse über die Ideale und Ideen großer
Visionäre der Geschichte, einschließlich Plato, gab. Mehrere Male vor seiner Deportation hatte er die
Chance, aus Deutschland zu fliehen. Er zog es nie in Erwägung, weil er glaubte, dass es falsch wäre,
diejenigen, die zurückbleiben mussten, im Stich zu lassen. Nach dem Krieg zog er nach London. Gegen Ende
des Jahres 1945 schrieb er das folgende Gebet als Antwort auf das, was er erlebt hatte:
Friede sei
mit denen, die böser Absichten sind, und lasst es das Ende aller Rachgier und Gedanken über Bestrafung und
Vergeltung sein.
Unermesslich sind die Grausamkeiten, sie übertreffen jegliche menschliche
Vorstellungskraft, und zu viele sind ihre Märtyrer ...
Deshalb, oh Gott, messe ihre Leiden nicht mit der
Waage der Gerechtigkeit, treibe sie nicht in die Arme ihrer Henker mit grauenhafter Abrechnung, aber lasse es
anders sein.
Statt dessen bemesse und berechne ihnen, den Henkern, den Denunzianten und
Verrätern und allen bösen Menschen, dieses: all den Mut und die geistige Kraft der anderen; ihre
Bescheidenheit, ihre aufrichtige Würde, ihre stillen Bemühungen trotz allem; die Hoffnung, die nie aufgab;
das unerschrockene Lächeln, das die Tränen trocknete; und all die Liebe und all die Aufopferung und all die
feurige Liebe ... all die durchbohrten und gequälten Herzen, die dennoch stark und voll Zuversicht blieben, im
Angesicht des Todes; und im Tod, ja, selbst in der Stunde tiefster Schwäche...
All dies, oh mein Gott,
wird für die Auferstehung der Gerechtigkeit berechnet - die guten werden gezählt, und nicht die Bösen; und in
der Erinnerung unserer Feinde werden wir nicht mehr ihre Opfer sein, nicht mehr ihr Alptraum, sondern ihre
Hilfe, auf dass sie in der Lage sein werden von dem Wahnsinn los zu lassen...
Nur dieses verlange
man von ihnen, dass wir jetzt, wo alles vorbei ist, als Mensch unter Menschen leben mögen, und dass
es wieder Frieden werden kann auf dieser armen Erde für die Menschen die eines guten Willens sind, und dass
Friede auch zu den anderen kommen mag.