die Suche nach dem tiefen Selbst

Gideon Byamugisha

Gideon Byamugisha ist Pfarrer in der Anglikanischen Kirche in Uganda. In seiner Rolle als religiöse Führungsfigur in Afrika war er der erste, der im Jahr 1992 öffentlich bekannt gab, dass er HIV-positiv war.

Gideon war in Begriff nach England zu kommen, um mit seiner Frau zu studieren, als sie plötzlich erkrankte und starb. Seine Schwägerin erfuhr, dass ihre Schwester an Aids gestorben war. Diese Information behielt sie aber erst einmal für sich. Da Gideon kurz vor seinem  Studienabschluss stand, befürchtete sie, dass die Trauer und die möglichen Auswirkungen der AIDS- Diagnose ihm in dieser kritischen Phase seines Studiums überwältigen würde. Erst als er seine Prüfungen beendet hatte, erzählte sie ihm, was sie wusste, und riet ihm, sich einem Aids-Test zu unterziehen. Er brauchte drei Monate, den Mut zu finden, dies zu tun. Er erzählte, wie er letzten Endes Mut durch die Erkenntnis gewann, dass wenn er den Tod seiner geliebten Ehefrau, die gerade 25 Jahre alt war, überleben konnte, dass er danach alles weitere auch durchstehen werde.

Er erhielt die Befunde seiner Untersuchung von einem Berater, der, in Hinblick auf seine Priestergewänder mit einer spöttischen Stimme sagte: "So, Mann Gottes, und was machst du jetzt?" Von diesem Moment an betrat Gideon ein Land, das ihm bisher fremd gewesen war: das Land der Stigmatisierung.

Die positive Diagnose von AIDS/HIV bedeutete in Uganda zu jener Zeit, dass man von Gott verflucht worden war. Die Krankheit wurde mit Prostitution verbunden, mit Homosexuellen— den so-genannten "sexual deviants“, d.h. sexuellen Abartigen, und Fernfahrern, die viele sexuelle Partner hatten. Gideons Karriere als Pfarrer und als Dozent an einer theologischen Hochschule schien vorbei zu sein.

Während er nach Hause reiste, führte er ein Zwiegespräch mit sich selbst. Er war am Boden zerstört. Er konnte die Entscheidung treffen, zu schweigen und ein Doppelleben zu führen. Er wusste jedoch, dass dies keine Entscheidung für einen Gott Gläubigen, einen Mann seiner Berufung, war. Er wusste, dass er die Unterstützung seiner christlichen Mitmenschen nötig hatte, um seine neuen Erfahrungen ertragen zu können. Sie konnten ihm aber nicht helfen, wenn er ihnen nichts verriet. Er wusste auch, dass er Hilfe von Freunden und Familie brauchte, um Pflege und Medizin zu erhalten. Er wusste, dass sein Schweigen bedeuten würde, dass er keine Gemeinschaft hatte. Er entschloss sich, Gott zu vertrauen und offen zu sein, so dass er die Schmach aushalten konnte.

Zunächst teilte er seine Situation nur mit seinen wichtigsten Kollegen und seiner Schwägerin. Dann beschrieb er sie dem gesamten Kollegium seiner Mitarbeiter und seinen Schülern. Schließlich sprach er mit seinem Bischof.

Eine Person mit AIDS braucht einen Freundeskreis der sie in der Arbeit, der Kirche und in der Familie unterstützt. Dieser Kreis muss zur gleichen Zeit offen und vertrauenswürdig sein. Gideon erkannte, dass es noch eine andere Form der Offenheit gab: sich ganz im öffentlichen Leben zu öffnen. Das wird nicht von jedem erwartet, und nicht jeder hat die Kraft und Fähigkeiten dafür. Es ist eine schwerwiegende Entscheidung, die viel Opferkraft fordert. Es ist eine Berufung.

Der Berater, der ihm das Testergebnis überreichte, presste Gideon in eine Welt der Stigmatisierung. Dieses wurde aber auch zum ersten Schritt auf dem Weg zu seiner Berufung. Gideon entdeckte, dass er seine Situation nutzen konnte, um die Würde der Menschen, die überall in Afrika stigmatisiert wurden, zu achten und zu schützen. Er ist jetzt in der Lage, sogar Dankbarkeit gegenüber dem Mann zu spüren, der ihn in dem Moment seiner tiefsten Verwundbarkeit verspottete. Dieses Erlebnis machte ihn wach die Bedürfnisse seiner Mitmenschen neu zu verstehen.

Gideon ist seitdem Preisträger des Niwano-Friedenspreises, in Anerkennung seiner Arbeit für die Wahrung der Menschenwürde und Menschenrechte von Menschen mit AIDS.